Der heisseste Ort der Welt

„Ich kann die westlichen Staaten beim besten Willen nicht verstehen.“ Desta, eine energische Frau um die Fünfzig, redet sich ein wenig in Rage. „Ich finde es unfair, dass diese Staaten von Reisen in unsere Wüste abraten.“

Desta, die mit einem Deutschen verheiratet ist, führt das Debre Amo Guest House in Mek’ele, einer Kleinstadt im Osten Äthiopiens. 220’000 Menschen leben hier. Tendenz steigend. Die Stadt boomt. Etliche Hotels befinden sich im Bau und zeugen vom Aufschwung der Stadt. Die Universität lockt viele junge Menschen an. Trotz der unvorteilhaften Reiseempfehlungen zieht aber auch der Wüsten-Tourismus massiv an. „Zu Recht, hier bekommen die Touristen wirklich etwas Einmaliges zu sehen“, findet Desta. Sie ist auch überzeugt, dass der Tourismus in den kommenden Jahren weiter zulegt, aus diesem Grund hat sie in Mek’ele ihr Guest House eröffnet.

Auch wir wollen in die Wüste. Genau gesagt: in die Danakil-Senke. Sie gilt als der heisseste Ort der Welt. Wortwörtlich. Vor allem aber ist die Danakil-Senke eine der geologisch aktivsten Regionen der Welt. Unser grosses Ziel, der Erta Ale, ist einer von nur sechs Vulkanen weltweit, in dessen Kegel sich ein aktiver Lavasee befindet. Fotos von diesem Vulkan haben wir schon viele gesehen, auch eine spektakuläre Dokumentation der BBC. Jetzt wollen wir uns aber selber ein Bild machen.

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Wir haben lange gezögert, hierher zu reisen. Eben wegen der unvorteilhaften Reiseempfehlungen. Auch die Schweiz rät zum Verzicht auf einen Wüstentrip. Der Grund, warum die Danakil-Senke als problematisch gilt: Im Januar 2012 wurden fünf europäische Touristen bei einem Überfall getötet, zwei Touristen wurden entführt und später wieder freigelassen. So richtig aufgeklärt wurde die Tat nie. Äthiopien vermutete, dass Rebellen aus dem nahegelegenen Eritrea über die Grenze gekommen seien. Eritrea dementierte.

Wir haben uns trotzdem für die Reise entschieden, weil mehrere ortskundige Leute uns versichert haben, dass Äthiopien seit dem Überfall die Grenze zu Eritrea peinlich genau kontrolliere. Und wir haben uns bei deutschen Reisebüros erkundigt, die Touren hierher anbieten. Auch sie hielten den Trip für unbedenklich. Ein gewisses Mass an Sicherheit sollen zudem die lokalen Reiseveranstalter garantieren. Touristen dürfen nämlich nur organisiert und in der Gruppe in die Danakil-Senke reisen. Jede Gruppe wird von bewaffneten Sicherheitsleuten begleitet. Das war allerdings schon beim Attentat so. Die Geländewagen fahren in Konvois. Falls ein Auto im Wüstensand stecken bleibt, können es die anderen Autos mit vereinten Kräften aus dem Dreck ziehen.

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Und so finden wir uns am Montagmorgen im Büro von Ethio Travel And Tours in Mek’ele ein. Es ist eine bunte Gruppe. 15 Touristen aus aller Welt. Wir teilen uns das Auto mit zwei Reisenden, die beide schon ewig unterwegs sind und die halbe Welt bereist haben. Alejandro aus Mexiko und Kazuyoshi aus Japan. Dagi, unser äthiopischer Fahrer, ist trotz seines noch jugendlichen Alters ein Wüstenfuchs. Unzählige Male sei er schon in die Danakil-Senke gefahren. Ihn selber langweilen diese Fahrten mittlerweile und er träumt von einem Leben als Reiseführer für deutschsprachige Touristen in Addis Ababa. Seine Zeit im Auto vertreibt er sich mit Discomusik aus den 70er-Jahren. Immer wieder denke ich während der Reise, wie bizarr es ist, mitten in der äthiopischen Wüste den alten Schweden von Abba zuzuhören, wie sie sich „A Man After Midnight“ wünschen.

Aber zurück an den Anfang unserer Reise. Wir fahren über eine Strasse, die für afrikanische Verhältnisse in einem unfassbar guten Zustand ist. Gebaut wurde sie nicht für die Menschen der Afar-Volksgruppe, die hier in der Gegend als Nomaden leben. Gebaut wurde sie auch nicht für Touristen. Chinesische Firmen haben Strassen in der Gegend erstellt, weil es einige Bodenschätze gibt. Vor allem Kali, das in verschiedenen Minen abgebaut wird. Und wo Bodenschätze sind, da sind in Afrika Firmen aus China, Europa oder Nordamerika nie weit. Kommt hinzu, dass via Strasse der Warentransport aus Äthiopien an den Hafen von Djibouti schneller möglich ist.

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Die Fahrt von der Studentenstadt Mek’ele hinunter in die Danakil-Senke ist die Fahrt in eine andere Welt und in eine andere Zeit. Die Dörfer der Afar-Nomaden haben kein fliessendes Wasser, Strom liefern einzig vereinzelte Generatoren. Viele der Hütten sind Holzkonstruktionen, die schnell ab- und an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden können.

Die Menschen leben von der Viehzucht und vom Salzabbau, den sie in der Wüste vorantreiben. Sie profitieren teilweise von der Entwicklungshilfe von internationalen Organisationen. Und sie leben von Subventionen des äthiopischen Staates selber, der die Nomaden jedoch dazu ermuntern möchte, sesshaft zu werden. Die Lebensbedingungen sind hart. Die Danakil-Ebene liegt unter dem Meeresspiegel, die Temperaturen sind kaum auszuhalten. Bald zeigt das Thermometer 50 Grad Celsius. Zum Glück ist unser Auto klimatisiert. Die Afar aber, sie müssen diese Hitze täglich aushalten.

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Immer wieder begegnen wir diesen Nomaden auf unserem Weg zum Vulkan. Links und rechts vom Auto hüpfen Kinder in den Fussballtrikots von Manchester United und dem FC Barcelona barfuss über die glühend heissen Steine. Die letzten Kilometer zum Vulkan führen über eine fürchterliche Rumpelpiste. Unser Fahrer bezeichnet sie als „schlechteste Strasse der Welt“. Wobei Strasse nicht das passende Wort ist.

Es ist pickelhartes, vulkanisches Gestein, über das sich unser Geländewagen nur im Zeitlupentempo bewegen kann. Zu Fuss wären wir schneller als im Auto. Aber angesichts der höllischen Temperaturen ist dies für uns keine Option.

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Am späten Nachmittag erreichen wir schliesslich eine Ansammlung von etwa zehn Hütten. Unser Basislager. Von hier aus besteigen wir den Vulkan. Eigentlich ist der Aufstieg ja ein Kinderspiel. Der Krater liegt auf lediglich 613 Metern über Meer. Wären da nicht die Temperaturen. Wir müssen warten, bis die Sonne untergeht, weil die Wanderung in der Hitze mörderisch wäre. Dann montieren wir unsere Stirnlampen und marschieren los. Auf halben Weg zum Gipfel dringt allmählich ein schwefeliger Geruch in unsere Nasen. Wir riechen, dass dies kein gewöhnlicher Berg ist. Der Nachthimmel ist zart rot gefärbt – je näher wir dem Gipfel kommen, desto roter wird er.

Dann haben wir es geschafft. Der Anblick ist umwerfend. Unbeschreiblich. Das gewaltigste Naturschauspiel, das ich je gesehen habe. Graue Lavaschollen werden von riesigen Kräften hinuntergezogen. Immer wieder schiessen glühende Lavafontänen in die Luft. Es ist, als ob wir am Tor zur Hölle stehen. Die Einheimischen sind überzeugt, dass hier der Teufel wohnt. Ein durchaus nachvollziehbarer Aberglaube.

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Auch für uns ist beim Erta Ale eine gehörige Portion Nervenkitzel inbegriffen. Stünde dieser Vulkan irgendwo in Europa, dann würden uns Verbotsschilder weit weg vom Kraterrand halten. Hier gibt es keine Schilder. Bis vor einigen Jahren war die Danakil-Senke eine No-Go-Area, weil die Afar-Region als zu unruhig galt. Aus diesem Grund gibt es auch noch keine touristische Infrastruktur – und keine Regeln. Die eigene Vernunft muss uns befehlen, wo wir Halt machen. Ich halte mir meinen Schal als Atemschutz vor das Gesicht und starre in die brodelnde, orangefarbene Lavasauce. Ich könnte stundenlang einfach starren, weil es ein derart berauschender Anblick ist. Es braucht nach etwa zwei Stunden schon eine sanfte Aufforderung unserer Reiseleiter, die uns vom Kraterrand weglockt.

Einige hundert Meter von Kraterrand entfernt übernachten wir. Unsere Schlafsäcke müssen wir auf dem Boden kleiner Holzhütten ausbreiten. Die Matratzen, die uns versprochen wurden, haben es nicht auf den Berg geschafft. Eigentlich hätten Kamele unsere Schlafunterlage transportieren sollen, doch der Bauer mit den Tieren war nicht wie verabredet in der kleinen Siedlung am Fuss des Berges anzutreffen. Also haben wir halt keine weiche Unterlage zum Schlafen. In dieser Nacht nehmen wir das gerne in Kauf. Wir wissen: Wir ruhen ohnehin bloss etwa vier Stunden, dann geht es nochmals zurück an den Kraterrand, damit wir dort den Sonnenaufgang geniessen können.

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Dann, um 6 Uhr morgens, ist Abmarsch. Wir müssen rechtzeitig zurück bei unseren Geländewagen sein. Rechtzeitig, bevor die Hitze wieder unerträglich ist. Auf dem Programm steht an unserem zweiten Tag ansonsten nicht mehr viel. Es geht mit dem Auto etwa vier Stunden zurück in das nächstgelegene grössere Dorf. Dort werden wir in einem Haus einquartiert, wo wir auf ein paar Matratzen am Boden übernachten können. Nach der harten Nacht zuvor ist dies ein richtiger Luxus. Und wir kriegen eine Dusche. Keine normale Dusche, sondern eine „afrikanische Dusche“, wie unsere Reiseführer lächelnd erklären. Das heisst: Ein Kessel Wasser, den wir uns über den Kopf kippen können. Herrlich!

Am anderen Morgen früh machen wir einen Spaziergang durchs Dorf. Die Kinder sind ganz aufgeregt, als sie uns sehen. „China Photo“, rufen sie in Richtung unserer Gruppe. Wir wissen zunächst nicht, was sie uns damit mitteilen wollen, merken dann aber, dass sie wohl unseren netten japanischen Mitreisenden für einen Chinesen halten und ihn bitten, dass er sie fotografiert. Falsch gedacht: Die Kinder rufen auch uns „China Photo“ zu. Unser Reiseleiter klärt uns lachend auf: „Vor einigen Jahren haben in diesem Dorf chinesische Arbeiter gewohnt, die die Strasse gebaut haben. Seither halten die Kinder hier alle hellhäutigen Menschen für Chinesen.“

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Wenig später steigen wir wieder in unsere Autos und fahren über diesen chinesischen Highway. Nach etwa fünf Stunden kommen wir wieder in eine Afar-Siedlung, wo wir später die Nacht in einer Art Hängematte verbringen. Wir lassen unser Gepäck dort – und fahren zum Assale-Salzsee. Der See ist ein Spektakel.

Die Salzschichten sind dick, die Wasserschicht darauf nur ganz dünn, so dass man buchstäblich über Wasser gehen kann. Wir gelangen an ein kleines Wasserloch. Es sieht aus wie ein natürlicher Swimmingpool. Und tatsächlich lässt sich darin baden. Allerdings ist die Badehose nachher stocksteif vor lauter Salz – und für den Rest der Ferien (abseits aller Waschmaschinen) nicht mehr zu gebrauchen.

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Höhepunkt an diesem dritten Tag ist der Sonnenuntergang am Rand des Salzsees. Sonnenuntergänge in Afrika sind ohnehin meist spektakulär (ja, die Farben am Himmel sind wirklich anders), dieser Sonnenuntergang ist jedoch besonders. Der See spiegelt den Himmel. Unser Fahrer dreht das Autoradio auf.

Die äthiopischen Soldaten, die uns sicherheitshalber begleiten und ansonsten so schweigsam sind, tanzen plötzlich zum Disco-Sound, der aus unseren Lautsprechern kommt. Und sie schwenken dabei ihre Kalaschnikow-Gewehre. Ein bizarrer Anblick.

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Nach einer herrlichen Nacht unter dem äthiopischen Sternenhimmel fahren wir am vierten Tag unserer Exkursion weiter in die Salzpfanne hinein und sehen etwa 30 Männern bei der Arbeit zu. In dieser unwirtlichen Gegend bauen sie Salz ab. Eine unfassbar harte Arbeit bei unmenschlichen Temperaturen.

Die dürren, ausgemergelten Männer schlagen mit langen Stangen Salzquadrate aus dem Boden. Anschliessend bearbeiten diese Quadrate, so dass sie alle gleich gross sind. Dann werden die Quadrate auf Kamele geladen. Die Kamele transportieren das Salz in die äthiopische Hochebene – zum Beispiel nach Mek’ele.

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Gegen Mittag fahren wir weiter. Zum letzten Höhepunkt unserer Reise. Nach Dallol. Es ist eines der aussergewöhnlichsten Geothermalgebiete der Welt. Hier, ganz in der Nähe der Grenze zu Eritrea, werden die höchsten durchschnittlichen Jahrestemperaturen der Erde registriert. 120 Meter unter dem Meerespiegel liegt Dallol.

Ich weiss, was mich hier erwartet. Ich habe es auf Fotos gesehen. Ein farbiges Spektakel. Die vulkanische Wärme bringt das Grundwasser zum Ansteigen. Dabei werden Mineralien gelöst, die an der Oberfläche in heissen Quellen und kleinen Salzgeysiren abgelagert werden. Eine sehr farbige Welt mit dem Gelb des Schwefels, dem Weiss der Salze und den Braun- und Rottönen der verschiedenen Oxide.

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Vor Ort sieht es dann aber noch spektakulärer aus als auf den Fotos. Als Kind habe ich mir so einen fremden Planeten vorgestellt. Jonas, unser äthiopischer Reiseführer, gibt klare Anweisungen: Gelb ist verboten. Auf keinen Fall dürften wir auf gelbe Flächen treten.

Er erzählt uns Schauermärchen von Touristen, die sich hier die Beine verätzt hätten. Also machen wir einen Bogen ums Gelbe. Dann, nach zwei Stunden in diesem Wunderland, drängt Jonas zum Aufbruch. In der Nachmittagssonne, erzählt er, wären die schwefeligen Dämpfe nicht mehr auszuhalten.

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Es geht zurück nach Mek’ele. Zurück in die Zivilisation. Zurück zu normalen Temperaturen. Wir verabschieden uns von unserem Fahrer Dagi, unseren zwei Mitreisenden Alejandro und Kazuyoshi. Sie waren vier Tage lang die besten Freunde, die man sich vorstellen kann. Eine solche Reise ohne jeglichen Komfort schweisst zusammen – und sei es nur, weil man sich gegenseitig mit Feuchttüchern aushilft, um den Staub vom Körper zu wischen.

Und wie gefährlich war die Reise in die Danakil-Senke nun tatsächlich? Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ich habe mich sicherer gefühlt als im Jahr zuvor in Rio de Janeiro. Dort warnen einen die Einheimischen permanent vor den Gefahren der Stadt. Dies schränkt das Wohlbefinden ein. In den vier Tagen in Danakil dagegen gab es keine einzige Situation, in der ich mich unwohl gefühlt habe. Allerdings ist das auch nicht verwunderlich. Meistens fuhren wir durch eine menschenleere Landschaft.

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Fotos: Andreas Beglinger