Auf den Spuren des Jaguars

Plötzlich sind wir umzingelt. Im Süden, in unserer Fahrtrichtung, türmt sich eine riesige Wolkenwand auf – es blitzt und donnert, als ob uns die Wettergötter heute besonders beeindrucken wollen. Für Joao, unseren Fahrer, ist sogleich klar: Wir sollten besser wenden und zurück in unsere Unterkunft fahren. Nur: Ohne dass wir es bemerkt hätten, hat sich auch in unserem Rücken eine ähnliche Wolkenwand aufgebaut. Zwei Gewitter treffen sich – und wir sind mittendrin. Rasend schnell ist es stockdunkel – und ein gewaltiger Regenguss kommt vom Himmel. Die breite Lehmstrasse, auf der wir unterwegs sind, wird in Sekundenschnelle zu einer Schlammpiste. Gut, dass Joao dieses Strasse wie seine Westentasche kennt und uns durch das Gewitter steuert.

Wir sind im Mittleren Westen von Brasilien. Im Pantanal, einem der weltweit grössten Binnenland-Feuchtgebiete. Zwar hat die Regenzeit noch nicht begonnen, aber das heftige Gewitter gibt uns einen Vorgeschmack, wie es sich anfühlt, wenn der Regen nicht mehr aufhört und alles überschwemmt. Das viele Wasser ist aber bereits jetzt ein Problem. Zurück in unserer Pousada, also in unserer Unterkunft, zeigt sich unser Fahrer Joao besorgt: Er wisse noch nicht, ob wir morgen tiefer ins Pantanal eindringen könnten. Die Strasse sei derzeit kaum passierbar.

IMG_6458

Durch das Pantanal führt nämlich nur eine einzige Strasse, die Transpantaneira – und unsere nächste Unterkunft ist ganz am Ende der insgesamt 145 Kilometer. Handyempfang gibt es lediglich bis etwa Kilometer 80. Wenn wir danach mit unserem Auto stecken bleiben, könnte es ungemütlich werden. „Dann müssen wir stundenlang warten, bis zufälligerweise irgendjemand mit dem Auto vorbeikommt, um uns aufzulesen“, sagt Joao. Und dass unser Auto stecken bleibt, ist jederzeit möglich – nicht nur wegen der Schlammpiste. Auch die mehr als 100 Holzbrücken auf der Strecke sind teilweise in einem prekären Zustand.

Am nächsten Morgen sieht die Welt, respektive das Pantanal, dann aber schon viel freundlicher aus. Das Gewitter hat sich verzogen und die Sonne trocknet die Strasse allmählich ab. Riccardo, der uns die nächsten Tage als Reiseführer begleitet, begrüsst uns beim Frühstück mit hochgerecktem Daumen. Joao habe grünes Licht geben, sagt Riccardo, unserem Abenteuer stehe nichts mehr im Wege.

IMG_7763

Riccardo ist ein knapp 40-jähriger Italiener. Er ist Hobby-Fotograf und hat sich vor ein paar Jahren bei einer Reise in das Pantanal verliebt. Daraufhin hat er gemeinsam mit Joao, der in der Gegend aufgewachsen ist, das kleine Unternehmen „Wild Pantanal“ gegründet. Dieses bietet Safaris durch das Feuchtgebiet an. Riccardo arbeitet hart für seinen Traum, irgendwann ganz von seinem Reiseunternehmen leben zu können – und nicht mehr sechs Monate pro Jahr nach Italien zurückkehren zu müssen, um dort als Handwerker Geld zu verdienen.

Riccardos Leidenschaft ist unser Glück. Er ist keiner dieser Reiseleiter, die ihr Programm lustlos herunterspulen. Er teilt mit uns seine Faszination für einen Flecken Erde, der fast so gross ist wie Deutschland, aber in Europa kaum bekannt. Ein Flecken Erde, der sehr dürftig erschlossen ist und wo kaum Menschen leben, dafür umso mehr Tiere. Es gibt im Pantanal mehr Vogelarten als in ganz Europa.

wild pantanal

Wir sind jedoch nicht nur wegen der vielen Vögel hierher gekommen, sondern in erster Linie um den ungekrönten König des Pantanals zu sehen: den Jaguar. Nirgendwo gibt es so viele dieser Raubkatzen wie hier. Dennoch ist es ziemlich aufwändig, sie aufzuspüren. Nach den vielen holprigen Kilometern mit dem Auto steigen wir am Ende der Transpantaneira um auf ein kleines Boot und schippern damit über die vielen Seitenarme des Rio Cuiaba, die alle fast identisch aussehen. Unsere Safari findet auf dem Wasser statt, weil es im Dickicht der Sumpflandschaft gar kein Durchkommen für ein Auto gäbe.

Wir brauchen Durchhaltevermögen, nach vielen Stunden auf dem Fluss haben wir noch immer keinen Jaguar gesichtet. Das ist insofern locker verschmerzbar, als wir einer Gruppe von Riesenottern zuschauen, wie sie im braunen Wasser ihre frisch gefangenen Fische zwischen ihren Zähnen zermalmen. Wir sehen Kaimane vorbeischwimmen, kleine Alligatoren, die einzig in Südamerika vorkommen. Und am Flussufer stehen immer wieder Capybaras: Nagetiere, die aussehen wie zu gross geratene Meerschweinchen mit Schwimmhäuten.

wild pantanal

Dann ist es so weit. Riccardo deutet aufs Ufer. Ein Jaguar pirscht sich durch das Gebüsch. Wobei uns sogleich auffällt, wie gut er getarnt ist mit seinem Fell, das sich kaum von der Umgebung abhebt. Da braucht es schon ein geübtes Auge, um nicht achtlos am Tier vorbeizufahren. Vom Fluss aus können wir den Jaguar eine halbe Stunde lang beobachten, wie er dem Ufer entlang läuft – und dann schliesslich über den Fluss schwimmt. Im Gegensatz zu anderen Raubkatzen sind Jaguare alles andere als wasserscheu.

Es ist ein beeindruckendes Tier – etwas kleiner als ein Löwe, aber grösser als ein Leopard. Wie viel Kraft ein Jaguar hat, erzählt uns Riccardo später beim Abendessen. Er zeigt uns Fotos, die er vor einem Jahr geschossen hat. Sie zeigen einen Jaguar, der sich durchs Wasser einem Kaiman nähert, ihn anspringt und schliesslich mit einem gezielten Biss in den Hals tötet. Ein Youtube-Film dieser Attacke ist um die Welt gegangen.

wild pantanal

Es ist ein intensives Naturerlebnis. Die Sonne brennt gnadenlos auf uns nieder, die Temperatur steigt auf 40 Grad im nicht vorhandenen Schatten. Im Fluss können wir uns nicht abkühlen, weil dort Piranhas und Kaimane schwimmen. Manchmal sind wir eine Stunde lang unterwegs, ohne anderen Menschen anzutreffen. Der Tourismus hier nimmt zwar allmählich zu, ist aber – anders als bei Safaris in Afrika – kein Massenphänomen.

Für uns geht es nach vier Tagen aus der Wildnis wieder zurück in die Zivilisation. Zurück über die Transpantaneira. Kaum haben wir die Lehmpiste verlassen und nähern uns dem Flughafen von Cuiaba, da fängt es wieder an, sintflutartig zu regnen. Zum Glück erst jetzt – keine Ahnung, ob in den kommenden Tagen eine Reise ins Jaguar-Gebiet überhaupt noch möglich gewesen wäre.

wild pantanal

Fotos: Riccardo Boschetti/Andreas Beglinger